Utopische Orte: Zur Relevanz von Clubkultur

Was hat Feiern mit Kultur zu tun? Kann Tanzen gehen politisch sein? Was meint Clubkultur überhaupt und wofür brauchen wir sie? Diese Fragen hab ich mir selber gesellt. Und Martina Brunner, Co-Leitende der Vienna Club Commission.

Es klingt sehr nach Klischee: Sie geht nach Berlin und verliert sich selbst in den kleinen Kellerräumen, verwinkelten Gängen verlassener Bunker. Vergisst für ein paar Wochen, wie man den Tag von der Nacht unterscheidet, verwendet irgendwann Wörter wie Gästeliste, Afterhour und HÖR deutlich zu oft, nur um dann ein wenig zu durchlebt und zu stolz allen etwas über Clubkultur zu erzählen. 

Doch das ist gar nicht meine Geschichte. Ich kam nach Berlin nach etwas über einem Jahr Pandemie. Es war Sommer, alle waren draußen, die Sonne schien – trotzdem war da diese Hemmung, Sunshine-Rave am Sonntagnachmittag eben. Wer Party suchte, wurde fündig, klar – doch dieser kollektive Hedonismus, der Berlin berühmt machte, blieb noch aus. 

Vielleicht war es genau dieses Ausbleiben von Clubkultur, dieser spürbare Schmerz einer ganzen Stadt, der deutlich vor Augen führte, wie wichtig diese Räume sind. 

Einen Monat bevor ich nach Berlin zog, erklärte der Deutsche Bundestag Clubs offiziell zu Kultur- und damit nicht mehr als Vergnügungsstätten. Das hat pragmatische Folgen: Es ist nun einfacher, eine Genehmigung für einen neuen Club oder Zugang zu Fördermitteln zu bekommen. Darüber hinaus ist es eine wichtige Anerkennung für die kulturelle Arbeit, die Clubbetreiber:innen leisten. Und damit einen Schritt näher dran, Clubs als das wahrzunehmen, was sie sind: Orte der Begegnung, des kreativen Schaffens, von der Identitätsbildung bis hin zu Safe Spaces für marginalisierte Communitys. So wie es auch Theater oder Museen machen, werden in Clubs aufwendig Programme kuratiert, Künstler:innen eine Plattform geboten und Nachwuchs gefördert. Warum Opernhäuser bisher eine bevorzugte Stellung hatten, kann man sich denken, aber nicht unbedingt logisch begründen. 

Ein Club kann viele Formen haben. Kann tausend Leute fassen oder bei vierzig Tanzenden schon eng werden, von aufwendigen Light-Shows zu ausrangierten PAs. Aber wir alle haben sofort ein Bild im Kopf, wenn wir das Wort „Club“ hören. Auch das kann sich glücklicherweise ändern. Vor knapp 15 Jahren war das bei mir noch eine Großraumdisco im Mühlviertel. Und obwohl sich verschiedenste Menschen in den unterschiedlichen Dimensionen der Clubkultur wiederfinden, hat sie doch noch immer einen abwertenden Ruf. Von einer Gleichstellung mit der sogenannten Hochkultur sind wir jedenfalls Meilen entfernt.

Clubs können Ausdruck einer politischen Bewegung werden, von besetzten Leerstandsgebäuden und illegalen Raves zu Open-Air-Events. Sei es der Protest an mangelnden Räumen. Oft sind sie Orte des Freiseins und Experimentierens. Marginalisierte Gesellschaftsgruppen nehmen und schaffen sich Räume, um ihre Identitäten uneingeschränkt auszuleben. Diese politische Dimension hat Geschichte. Man verortet die Entstehung der Clubkultur in den 1980er-Jahren, in Verbindung mit der Entstehung von elektronischer Tanzmusik. In Chicago und Detroit entwickeln sich damals die zwei großen Genres House und Techno – und zwar ganz klar aus Schwarzen und teils auch queeren Communities – um sich hegemonialer Zwänge freizumachen und Selbstermächtigung zu gewinnen. Auch in Europa trafen sich Randgruppen und Personen aus ärmeren Milieus, um gemeinsam dem Alltag zu entkommen. Das kann man nun Eskapismus oder Selbstermächtigung nennen, ist im Endeffekt auch gar nicht so wichtig. Es ging darum, sich einen Platz zu schaffen und dem Struggle des realen Lebens zu entkommen. 

Nun ist Wien die Stadt der Musik – warum ist sie keine Stadt der Clubkultur? An Künstler:innen, jungen Leuten fehlt es der Stadt mit der größten Uni im deutschsprachigen Raum keinesfalls. Und es gab die Zeit, als Wien die elektronische Musikwelt mit einem unverkennbaren Sound aufmischte, wo lokale Namen plötzlich international durch die Decke gingen. Doch heute hört man meist nur den Satz: „Die Pratersauna ist auch nicht mehr das, was sie mal war“. Bereinigt um den Faktor, dass hier einfach gerne gesudert wird, fallen einem weiterhin wenig Gründe ein, Wien zur Clubstadt zu erklären. 

Dass den Clubbetreiber:innen in Wien noch viele behördliche Steine in den Weg gelegt werden, zeigt der Forschungsbericht Clubkultur Wien. Der ist von 2019 und seither hat die Stadt immerhin eine Club Commission – nach einer Pilotphase startet das Beratungs- und Vermittlungsprojekt 2022 mit einem Budget von 1,2 Millionen Euro für die nächsten fünf Jahre. Und einer neu besetzen Doppelspitze: Martina Brunner übernimmt die inhaltliche Leitung, Thomas Heher kümmert sich um kaufmännische Agenden. Mit Martina Brunner, die auch schon maßgeblich am Pilotprojekt mitwirkte, habe ich nicht nur darüber gesprochen, was die VCC ist, sondern auch, was Clubkultur für sie und für Wien bedeutet.

(c) Karolina Miernik, Emilia Milewska
F23 (c) Karolina Miernik, Emilia Milewska

Was ist die Vienna Club Commission?

MB: Die Vienna Club Commission ist eine Service- und Vermittlungsschnittstelle, finanziert von der Stadt Wien. Wir haben drei Arbeitsbereiche, nämlich Beratung, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit, um die Clubszene in Wien zu stärken und ein Bewusstsein zu schaffen, für Schlagworte wie z.B. Clubkultur oder auch Nachtwirtschaft. Rund um diese drei Bereiche arbeiten wir Leitfäden und Checklisten aus, bieten Workshops und Podiumsdiskussionen an, führen Interviews und Treffen uns mit den jeweiligen Zielgruppen. Das sind die Clubs und Veranstalter:innen genauso wie Politik und Verwaltung.

Was ist euer Hauptziel? 

MB: Von einem Hauptziel kann man aktuell gar nicht sprechen. In dem Bereich muss man immer strategisch flexibel arbeiten. Klar gibts ein Long-Time-Goal. Nämlich, dass die Club- und Veranstaltungsszene als relevanter Teil Wiens wahrgenommen wird und nicht nur in der eigenen Bubble, sondern auch von außen Wertschätzung bekommt. Kleinere Ziele verschieben sich immer wieder, je nach aktuellem Diskurs, nicht nur innerhalb des Clubbereichs, sondern auch im gesamtgesellschaftlichen Diskurs. Aktuell arbeiten wir an drei Projekten mit jeweiligen Fokusgruppen aus der Szene. Bei „safer party – safer nightlife“ beschäftigen wir uns mit der Frage, wie können wir Ausgehen sicherer gestalten? In der zweiten Fokusgruppe beschäftigen wir uns mit dem Projekt Clubkultur im öffentlichen Raum. Also wie können wir Zugang zu Plätzen im öffentlichen Raum erleichtern, dass auch dort veranstaltet werden kann, niederschwellig und vor allem offen für Jugendkultur. Und das Dritte ist Infrastrukturförderung für Clubs und Veranstaltungen, weil die Energiekrise jetzt nach Corona alle noch mal ins Wanken gebracht hat. Und welche Förderungen gibt es denn eigentlich schon? Also zuerst dachten wir, und das meine ich mit strategisch flexibel, dass es eine neue Förderung braucht. Dann dachten wir: Moment mal, schauen wir mal, was es schon gibt. Und jetzt ist das Ziel ein ganz anderes, nämlich brauchen wir keine neue Förderung im Moment, sondern wir müssen jetzt erst mal die ganzen bestehenden Förderungen zusammengetragen. Weil eigentlich hätten Clubs und Veranstalter:innen schon Möglichkeiten, bei diversen Förderungen einzureichen, nur kennen sie die vielleicht noch gar nicht.

Das heißt, du siehst jetzt aktuell noch gar nicht unbedingt den Handlungsbedarf bei der Politik? 

MB: Hm, also Handlungsbedarf, den gibt es immer. Man muss den aber erstmal konkret formulieren, damit die Politik weiß, wo sie anpacken muss, was sie konkret umsetzen kann. Als Beispiel: Veranstalter:innen brauchen Räumlichkeiten. Aber was heißt das genau? Wie viele Räumlichkeiten, für wen sind die Räumlichkeiten, was soll in diesen Räumlichkeiten passieren, welches Budgets ist dafür angedacht, wie soll das finanziert werden? Und dafür sind wir da, um diese ganzen Bedürfnisse zu bündeln: einerseits von der Clubszene, aber dann eben auch von der Verwaltung oder von Anrainer:innen. Unsere Aufgabe ist es, das in Form eines Konzepts zu schärfen, der Politik zu geben und zu sagen: Hey, das ist eine zielgruppenspezifische Hilfe, die ihr umsetzen könnt. 

Ist Wien eine Stadt der Clubkultur?

MB: Da tu ich mit schwer, die Frage zu beantworten. Es gibt schon Veranstaltungsformate und Räumlichkeiten in Wien, die für mich Clubkultur abbilden. Man denkt jetzt nicht direkt an Wien, wenn man sagt Clubs oder Clubkultur oder Clubtourismus. Aber es gibt definitiv interessantes Programm. Und interessante Orte. Ich würd Clubkultur nicht einer Stadt zuschreiben, sondern wirklich einem Ort mit einem kuratierten Programm.

Und denkst du, davon könnte es mehr geben in Wien? 

MB: Ich denke schon, die Nachfrage ist auch da. Wir merken, dass vor allem junge Veranstalter:innen gerade aufkommen, die noch nicht so recht wissen, wo sie die Räumlichkeiten finden könnten, um ihr Veranstaltungskonzept umzusetzen, weil einfach alles sehr teuer geworden ist. Diese niederschwelligen, leicht zugänglichen Räumlichkeiten fehlen aktuell. 

Und es geht nicht nur um den Platzmangel – der ist auch ein Thema, gar keine Frage sondern um die finanziellen Hürden.

Für wen ist Clubkultur? Das ist jetzt eine sehr offene Frage.

MB: Ja, das ist wirklich eine offene Frage. Das finde ich spannend. Wir sprechen bei Clubkultur schon immer von Offenheit und Diversität. Und gleichzeitig verankert Clubkultur ja schon auch richtigerweise den Ausschluss von Diskriminierung, sexueller Gewalt, Homophobie und alles, was sonst in dieses Schema fällt. Und ja, ich glaube, Clubkultur ist nicht für Menschen, die diskriminierend sind. Das ist, glaube ich, auch gut so. 

Ich glaube aber generell, dass es gut ist, wenn Clubs Offenheit zeigen, Diversität zulassen und ein Abbild aller gesellschaftlichen Schichten sind. Es kommen so viele unterschiedliche Personen und Charaktere zusammen in einem Club, die auch einfach nur mal dem Alltag und festen Strukturen entfliehen möchten. Umso wichtiger ist es, sich gleichzeitig von jeglicher Diskriminierung zu distanzieren.

Credit: Christoph Liebentritt | buero butter
Martina Brunner, Co-Leitende der Vienna Club Commission (c) Christoph Liebentritt | buero butter

Glaubst du, das ist eine Grundeigenschaft von Clubkultur? Oder woher kommt es, dass Clubkultur sich genau mit diesen politischen Werten identifiziert? 

MB: Kultur an sich ist oft progressiv und gesellschaftskritisch und versucht auch immer die Gesellschaft einen Schritt weiterzubilden. Und ich glaube genau dieser Charakter von Kultur verankert sich in dem Wort Clubkultur. Denn Club für sich allein stehend ist ja auch nur ein Raum. Etwas Neues schaffen, progressiv sein und neue Erfahrungswelten schaffen, darum geht es.

Wo würdest du dann die Grenze setzen? Also ist für dich dann eine kommerziell betriebene Großraumdisco auch noch ein Ort der Clubkultur? 

MB: Es kommt drauf an. Wenn jetzt in einer Großraumdisco Schubert gespielt werden würde, ist es dann Kultur? Oder ist es dann Großraumdisco? Mir stellt sich also die Frage, ob man das an den Gebäudemauern festmachen kann oder ob es nicht eigentlich darum geht, welches Programm stattfindet. Und wenn jetzt ein super experimenteller DJ in der Großraumdisco auflegen würde, hat es genauso einen kulturellen Aspekt, wie wenn die Performance in einem Konzerthaus wär oder im klassischen Sinne in einem Club. Es geht um die Komponenten, die Clubkultur vereint: soziale, kulturelle und wirtschaftlichen Aspekte. In der Großraumdisco wird hauptsächlich der wirtschaftliche und im Konzertsaal vielleicht hauptsächlich der kulturelle Aspekt verfolgt. Clubkultur vereint alle diese Aspekte, vor allem aber auch den bewussten sozialen Austausch. Aber schlussendlich sind alles Orte der Begegnung und stehen für sich. Das eine soll nicht schlechter sein als das andere. 

Und da siehst du auch aktuell noch eine Ungleichbehandlung der Clubs im Vergleich zur sogenannten Hochkultur?

MB: Ich will da keine Neiddebatte aufmachen. Aber dass die Hochkultur subventionierter ist als die Clubkultur, das ist einfach eine Tatsache. Da kommen wir halt wieder zu dem Aspekt, wofür es die Club Commission in Wien gibt. Einfach um sichtbar zu machen, was das eigentlich einer Stadt zugute bringt, wenn es ein kreatives Schaffen im clubkulturellen Kontext gibt.

Zu guter Letzt: Was sind deine drei Lieblingsclubs in Wien oder was sind drei Clubs, die deiner Meinung nach ein cooles Programm machen?

MB: Das sind in Wien für mich nicht nur die fixen Orte, sondern vor allem auch die Zwischennutzungsprojekte, zum Beispiel das Schloss Cobenzl. Oder auch das F23 mit einer der großartigsten Partys, die ich in Wien jemals besucht habe, die für mich alle Aspekte von Clubkultur vereint hat. Das war Bliss zusammen mit Herrensauna. Danach war mir wieder bewusst: Deswegen mach ich das alles. Oder eine Party im Fluc: Meat Market von Gerald Van der Hint, ein sehr großartiger DJ. Generell ist das Fluc definitiv ein Ort, den ich mit sehr guten Cluberlebnissen verbinde.

Es gibt sie also auch in Wien, die Orte und Diskurse rund um Clubkultur – auch wenn man etwas genauer hinschauen muss. Wer jetzt Lust bekommen hat, eine Party zu organisieren und die Szene noch etwas aufzumischen, kann sich ja bei der VCC melden. Oder willst du dich erstmal weiter mit dem Thema befassen? Dann schau mal hier:

Vienna Club Commission: https://www.viennaclubcommission.at 

Awareness Akademie der Berlin Club Commission: https://awareness-akademie.de/

VVC: Diskurs: Was es ist, das wir vermissen https://www.viennaclubcommission.at/alles/leitfaden-was-ist-clubkultur-soziale-utopien-und-reale-raume

Whitney Wei: Electronica Music is Black Protest Music https://www.electronicbeats.net/electronic-music-is-black-protest-music/

Berlin Club Commission: Jetzt offiziell: Clubs sind Kultur https://www.clubcommission.de/jetzt-offiziell-clubs-sind-kultur/

Stefan Niederwieser: Forschungsbericht: Clubkultur Wien https://stfndw.com/wp-content/uploads/2019/10/Forschungsbericht-Clubkultur-Wien-2019-Stefan-Niederwieser-Yasmin-Vihaus.pdf 

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