Stadtfüchse und Straßenmusik – RAHEL im Interview

Im 10. Bezirk, am Rande des Laaer Berges befindet sich auf einem Hügel der Böhmische Prater. Es ist ein sonniger Morgen, wir treffen Rahel beim Fliegenpilz und steigen auch gleich in die erste Achterbahn ein, die bereits schon seit fast 100 Jahren am selben Ort steht.

Laurenz: Du hast ja kürzlich deine EP Die Allerschönste Angst released. Was ist deine Allerschönste Angst?

RAHEL: Das Leben. Und die Liebe.

L: Was ist daran der schöne Part und wo liegt der Teil, der Angst macht?

R: Weißt du, ich glaube Angst und Schönheit liegen einfach extrem nahe beieinander. Freud, auch wenn er natürlich problematisch ist, hat einen Text über das Unheimliche geschrieben: Unheimlich kommt von heimlich und das wiederum von heimelig. Diese Sachen sind einfach ur nahe beieinander. Angst kann der herrlichste Rausch sein! Die Allerschönste Angst ist, wenn man hier mit diesem wilden Gerät fährt zum Beispiel. *Es handelt sich um eine Miniatur- Achterbahn*. Ich mochte den Titel sehr gerne, weil er offenbar einen Nerv trifft, ohne den genau definieren zu müssen. Das mag ich sehr gern, wenn Sachen nicht so eindeutig sind.

(c) Mala Kolumna

L: Ja, das ist wie die Gerätschaften im Böhmischen Prater. Diese Spannung zwischen dem Lebensgefühl, die Gefahr und die Angst wenn man sich wild herumwerfen lässt.

R: Grad vor allem hier ist es so aufregend.

L: Extrem aufregend und gefährlich. Man ist nämlich nicht angeschnallt.

*Rahel klettert auf den Zaun vom Minigolfplatz*

L: Hast du früher immer illegale Straßenmusik gemacht und bist deshalb so geübt im Zäune klettern?

R: Illegal leider nie. Wobei, doch! Als ich noch ganz klein war – so 9 – hab ich mich auf den Stephansplatz gestellt. Mit einer Freundin, getanzt und gesungen. In einer halben Stunde haben wir 20€ verdient. Das war eigentlich ein ganz guter Schnitt.

L: Das heißt deine Musikkarriere hat sehr früh begonnen?

R: Ich hab schon früh gewusst, dass ich das machen will. Ich glaub, dass man als Kind meistens schon sehr klar weiß was gut für einen ist. Dann wird man erwachsen und muss viele Sachen wieder verlernen.

L: Absolut. Irgendwann verkopft man sich ein bisschen und dann kommen auch andere Fragen auf. Zum Beispiel: Wie kann man leben von dem was man macht.

Sollte man nicht irgendwas machen, was aktiv die Welt verändert?

R: Es ist schon ein Privileg, irgendwie einfach machen zu können was man will. Es ist schwierig zu sagen, dass Musik und oder Kunst Luxus ist. Ich will eigentlich gar nicht, dass es Luxus ist und glaube, dass es mehr wie ein Grundnahrungsmittel ist. Aber trotzdem fühlt es sich sehr surreal an, wenn man merkt, was so abgeht auf der Welt. So hä? Man sitzt da jetzt und schreibt ein Lied. Sollte man nicht irgendwas machen, was aktiv die Welt verändert? Aber das Schöne ist, wenn dieses Lied dann trotzdem wo ankommt und jemand sagt, dass es gerade wichtig ist für sie oder ihn. Dann verändert es vielleicht etwas im ganz ganz Kleinen.

(c) Mala Kolumna

L: Kommt von da die Line „Auf den Wimpern liegt die Schwere, vor dem Fenster liegt die Welt“?

R: Da hast du aber genau hingehört auf den Text. Wie schön! *lacht*

L: Ja der Song „Honey“ ist mir sehr nahe gegangen, weil ich das Gefühl so gut kenne, wenn total viel abgeht in der Welt und es einen beschäftigt. Ich fühl mich halt auch sehr connected mit den Dingen, die passieren und manchmal entsteht dann so ein Ohnmachtsgefühl, wenn man im Moment nicht weiß, was man machen kann bzw wo da die eigene Rolle in dem Ganzen ist. Dann entsteht so eine Müdigkeit und Verschlossenheit. Was war da dein Bezug und wie bist du auf diese schöne Line im Song gekommen?

R: In diesem Lied sind viele verschiedene Sachen drinnen. Es ist sehr spannend mit Leuten zu reden und zu sehen was bei ihnen für Bilder im Kopf entstehen. Das ist das Allerschönste eigentlich. Vielleicht geht es bei Honey um einen Mann auf einer Demonstration? Vielleicht um etwas ganz Anderes, wer weiß das schon? Am Wenigsten ich selbst, ich hab es ja nur geschrieben. *lacht*

L: Das heißt es gibt (vielleicht) eine fiktive Person im Song und trotzdem finden sich auch Gefühle wieder, die du selber erfährst?

Man macht das auch für die Anderen. Nicht nur für sich selbst.

R: Ich versuche schon auch immer Stimmungen von außen auch wahr zu nehmen, die Gefühle von anderen Leuten zu verstehen und denen dann vielleicht eine Stimme zu geben. Aber natürlich kenne ich diese Gefühle selber und was mir dann hilft ist irgendwie zu wissen: Man macht das auch für die Anderen. Nicht nur für sich selbst. Das ist ein Motor für mich und das kann oft auch so eine Schwere lösen. Und es ist auch schön im Kleinen die Welt ein bisschen lustiger zu machen. *lacht*

(c) Mala Kolumna

L: Bist du in Wien aufgewachsen?

R: Nein ich komme aus dem Waldviertel. Der Umzug nach Wien war eigentlich sehr naheliegend, weil es die nächstgrößere Stadt ist. Aber ich merke jetzt schon wie sehr ich die Natur brauche. Auch so als Kontrast. Die Stadt kommt auch immer wieder mal in meinen Liedern vor. Stadt an sich ist schon auch eine Zumutung, ein bissl.

L: Eine Zumutung? Weil so viel Trubel ist? Wenig Ruhe?

R: Wenig Tiere vor allem. Ich bin mit ganz vielen Tieren aufgewachsen. Im Hof am Waldviertel lebt auch immer noch ein Pfau und ein Baby-Schaf. Das tut schon gut für die Seele, die zu besuchen.

L: In der Stadt gibt es ja auch Tiere wie so Stadtfüchse. Ist dir schon mal einer begegnet?

R: Ja, einmal habe ich einen Fuchs getroffen. Das war ein guter Moment.

L: Ja so ging es mir auch einmal direkt in der U-Bahnstation in Ottakring.

R: Herrlich! Ich hab auch einmal ein wildes Kamel getroffen. In der Sahara. Auch ein sehr guter Moment.

L: Was machst du dann um raus zu kommen aus Wien?

R: Ein bisschen reisen, mal da mal dort. Auch mal eine Reise zur Copa Kagrana oder eine Reise im Kopf.

L: Und wenn du Zeitreisen könntest wo würde es hingehen?

R: Ins New York der 70er. In die Zeit von Patti Smith oder Janis Joplin. Ein bisschen Cliché.

L: Haha finde ich gar nicht. Ich dachte du sagst 80er. Das hört man so von deinem Sound raus.

Und ich liebe Frauen, die sich nicht dem Schönheitsideal beugen, die Normen ausblenden und eine politische Aussage haben.

R: Ja also Annette Humpe von der Band Ideal hat mich schon sehr inspiriert. Gerade so kurz bevor ich so rausgegangen bin mit der Musik, war das schon sehr wichtig für mich. So Künstler*innen wie Patti oder Anette Humpe sind vielleicht auch mehr Performance Künstler*innen. Aus dieser Richtung komme ich auch. Also nicht rein aus der musikalischen. Und ich liebe Frauen, die sich nicht dem Schönheitsideal beugen, die Normen ausblenden und eine politische Aussage haben. 

(c) Mala Kolumna

L: Wie hast du eigentlich deinen Sound entdeckt?

R: Das ist mit meinem Produzenten und Co-Musiker entstanden. Es ist eine wahnsinnig schöne Arbeit mit ihm! Wir kommen beide aus sehr unterschiedlichen Richtungen. Ich war früher mal auf dem Girls Rock Camp und hab mich später auf die Straße gestellt und ins Mikro gebrüllt. Aus diesem Kontext bin ich gekommen und der Raphi kommt so wirklich aus dem Pop-Kontext. Am Anfang wollte man sich nicht wirklich auf das andere Einlassen. Aber irgendwann war es dann so eine Fusion. Und dieser 80er- Sound ist dann so inspiriert von Nena, Ideal, neue Deutsche Welle entstanden.

L: Ja ich finde der Sound resoniert auch sehr gut mit deiner Stimme.

R: Als ich aufgewachsen bin, haben oft Leute gesagt, dass meine Stimme grässlich ist. *lacht*  Vor allem am Land kriegt man das so gesagt. Das find ich gut, dass es die einen komisch finden und die anderen mögen. Solche Sachen mag ich gerne. Und ich mag Dinge und Charaktere, die in dieser Musik Bubble ein bisschen anders sind und doch Platz darin finden. Was auch immer „anders“ heißt! *lacht*

L: Ich finde ja, dass es gar kein Widerspruch ist, weil selbst im Mainstream sehr einzigartige Charaktere ihren Platz finden.

R: Absolut! Das darf man nie vergessen. Anfangs habe ich mich ja sehr gewehrt gegen so einen Pop-Approach. Irgendwann hab ich gemerkt, dass es eigentlich sehr cool ist, Musik zugänglich zu gestalten. Man kann trotzdem auch wichtige Botschaften einflechten. Ich finde es sehr cool, wie es zum Beispiel Billie Eilish macht, die in ihren Texten auch sehr politisch ist, aber halt auf eine subtile Weise.

L: Wie ist so deine Verbindung zu Performance Kunst?

R: Früher habe ich ein bisschen Schauspiel gemacht und Performances. So Tanz-Sachen und Installationen. Das war lustig und auch wichtig für mich.

(c) Mala Kolumna

L: Wie ist das Gefühl für dich auf der Bühne zu stehen?

R: Arg gut. Und arg und gut. Ich bin noch ein bisschen beseelt von dem Konzert gestern *beim Wir sind Wien Festival*. Ich habe auch jemanden im Publikum wiedererkannt, der hat mich immer besucht, als ich Straßenmusik gemacht habe. Der war immer ein bisschen besoffen und gestern auch. *lacht*

L: Wann kann man dich wieder live sehen?

R: Jetzt spiel ich mal ein paar Festivals in Deutschland. Ab Herbst ist dann wieder Wien Action!

Geplante Live Termine

26.8. Singoldsand Festival (DE)
3.9. Sturm und Klang (AUT)
29.9. Flex Wien mit Saló (AUT)

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