Music Fan 101 – was ist dir Musik wert?

Spotify hat die Musikindustrie gerettet, aber was ist mit den Musiker*innen? Wie jede technische Innovation bringt auch Musikstreaming veränderte Rahmenbedingungen mit sich. Es spricht nichts dagegen, sich über die Vorteile zu freuen – aber lasst uns auch über die Nachteile sprechen.

Spotify nutze ich bereits seit Jahren. Es läuft, wenn ich zu Hause am Schreibtisch sitze, durch die Straßen spaziere oder beim Zugfahren. Ich hab unzählige Playlisten erstellt und Podcasts abonniert – Millionen Songs mit ein paar Klicks. So praktisch der Dienst auch ist, die immer lauter werdende Kritik an der Streamingplattform lässt sich nicht mehr ausblenden. Kritik für die unfaire Bezahlung, die schlechte Audioqualität bis hin zum Algorithmus. Was einst als die Lösung gegen Musikpiraterie galt, scheint nun selbst zur großen Herausforderung für die Musikindustrie zu werden, oder zumindest für die individuellen Künstler*innen.

Eins vorweg: Dass technische Neuerungen unser Hörverhalten und damit auch Musik in Form und Stil verändert, ist kein neues Phänomen. Radio, Video, Walkman, Kopfhörer – bereits vor der Digitalisierung hat sich Musik anhand der Abspielgeräte und Medien angepasst und verändert. So ist es wenig verwunderlich, dass auch Streaming-Plattformen in einem wechselseitigen Verhältnis mit den musikalischen Entwicklungen stehen. Künstler*innen hab sich immer an technischen Möglichkeiten bedient und daran adaptiert – es ist Teil der Weiterentwicklung und kann kreative Prozesse anfeuern. Kein Grund also gleich in Kulturpessimismus zu verfallen. 

Doch immer mehr Künstler*innen kritisieren Streaming-Plattformen, insbesondere aber Spotify, für deren Vergütungsmodelle. Wer eine CD für zwölf Euro kauft, kann sich sicher sein, dass ein angemessener Teil des Erlöses an die Artists geht, selbst bei kruden Knebelverträgen. Bei Spotify läuft das mit der Marie etwas anders. Selbst wenn du den ganzen Monat nur deine Lieblingsband hörst, ein Teil deiner zehn Euro geht trotzdem auch an Drake, Shirin David und Co. Die Mitgliederbeiträge werden in einen Topf geworfen und nach Marktanteilen ausbezahlt – das kommt vor allem jenen zu gute, die sowieso schon am meisten gehört werden und sich am besten der Logik der Plattform anpassen. Denn der Algorithmus folgt Trends und macht es Künstler*innen, die Neues probieren oder Hörgewohnheit herausfordern, umso schwerer. Anders als Radio-Hosts oder Musikjournalist*innen ist die Logik von Streamingplattformen Homogenität. Die Auswirkungen der Pandemie, insbesondere das Ausfallen von beinahe allen geplanten Konzerten, hat die Situation nochmals verschärft. Newcomer, mittelgroße Künstler*innen und Aritsts in Genres abseits des Mainstreams haben seither wenig Möglichkeiten, mit ihrer Kunst Geld zu verdienen. Nicht wenige mussten ihre musikalische Karriere erstmal an den Nagel hängen, um in anderen Jobs Geld für Miete aufzutreiben. 

So toll es also ist, Millionen Songs auf einen Klick im Ohr zu haben – vielleicht sollten wir darüber nachdenken, welchen Wert die Musik, die wir täglich hören, für uns hat. Deshalb hab ich mich auf die Suche gemacht und ein paar Beispiele als Alternativen zum Schweden (der grüne, nicht der blau-gelbe) zusammengesucht:

Kaufen statt Streamen

Du willst sicher gehen, dass dein Geld auch wirklich bei den Künstler*innen landet, deren Songs du auf und ab spielst? Der direkteste Weg ist noch immer der Kauf von Alben und Songs. Es ist wohl kein Zufall, dass Musiker*innen zunehmend zu Schallplatte oder Kassette zurückkehren. Aber auch durch den Kauf von digitalen Alben oder Merch landet Geld direkt in den Taschen der Artists. Eine der größten Plattformen hierfür ist Bandcamp, die Künstler*innen und Labels einen digitalen Marktplatz bietet. Das Unternehmen hat in der Pandemie den Bandcamp Friday gelauncht. Einmal im Monat verzichtet Bandcamp auf seine Umsatzbeteiligung für alle Verkäufe, die an diesem Tag getätigt werden. Alle Einnahmen gehen direkt an die Künstler*innen bzw. Labels, ganze Communitys haben sich um dieses Event gebildet. BTW, der nächste ist am 1. April.

Ein Blick hinter die Kulissen 

Streamingplattform ist nicht gleich Streamingplattform. Verschiedene Anbieter haben verschiedene Vergütungsmodelle, in denen die Künstler*innen mal besser, mal schlechter wegkommen. Deezer beispielsweise hat 2019 ein nutzerbasiertes Abrechnungsmodell eingeführt, bei dem die jeweiligen Abogebühren je Nutzer*in anteilig an die Künstler*innen ausbezahlt werden. Das bedeutet, wenn ich in einem Heartbreak-Monat nur Frank Ocean höre, bekommt dieser meine ganze Kohle – also Frank, sein Label und Vertrieb, und Deezer – aber nicht RAF Camora. Das ganze gibt es hier noch anschaulicher dargestellt: https://zdfheute-stories-scroll.zdf.de/spotify-mehr-klicks-mehr-geld/index.html

Oder die Plattform Mixcloud für DJ-Sets und Radiosendungen: Der Content ist zwar nicht direkt mit Spotify, Deezer und Co vergleichbar, ein Blick ins Geschäftsmodell lohnt sich aber trotzdem. Hier gibt es die Möglichkeit einzelne Creators für einen monatlichen Betrag zu abonnieren. Den Mindestbetrag legen diese selber fest. Als Nutzer*in bekommt man dafür ein paar extra Features, und das gute Gewissen, den Creators etwas Butter aufs Brot zu bringen.  

Communities aktivieren

Ähnliches Prinzip verfolgt Patreon. Die Plattform wird von vielen Content-Creators genutzt, beispielsweise von YouTubern oder Podcastern, die ihre Contents gratis zur Verfügung stellen und von den Werbeeinnahmen alleine nicht leben können. Anstelle von oder zusätzlich zu Sponsoring bitten sie ihre Community um einen finanziellen Beitrag, um sich auf Qualität statt Quantität ihrer Werke fokussieren zu können. Im Musikbereich ist dieses Modell noch vergleichsweise wenig verbreitet. Öfter sieht man aber gezielte Crowdfundings für beispielsweise Albumproduktionen. Damit können Künstler*innen und Bands auch ohne den Vorschuss und die Kostenübernahme von Labels Projekte umsetzen. Beides schafft zudem eine direkte Verbindung zu den Fans – insbesondere in Zeiten ohne Livekonzerte ein wichtiges Element.  

Lasst uns weiter darüber sprechen

Erst die jüngste Debatte rund um den Spotify-Exclusive-Podcast von Joe Rogan und dessen bedenklichen Inhalte zur Corona-Impfung hat erneut Kritik an der Streamingplattform hochkochen lassen. Zurecht stellten viele Künstler*innen, darunter Joni Mitchell oder Neil Young, infrage, ob sie ihre Kunst einer Plattform zur Verfügung stellen wollen, die Millionen-Deals an Podcaster vergibt und dabei scheinbar nur auf Quantität und nicht Qualität achten. Als Nutzer*in kann man sich eine ähnliche Frage stellen: Will ich mit meinem Geld diese Inhalte finanzieren – selbst wenn ich sie gar nicht höre?

Aktuell hat Spotify ca. 406 Millionen Nutzer*innen weltweit. Studien haben gezeigt, dass eine Änderung des Spotify-Algorithmus in 2018 dazu geführt hat, dass die erfolgreichsten Songs der Plattform einen nicht mehr ganz so hohen Anteil der Gesamtstreams einnahmen.

Beides zusammen zeigt deutlich, welch enormen Einfluss diese und ähnliche Plattformen haben – nicht nur durch ihre Abrechnungssysteme, sondern auch ganz klar durch ihre Playlisten und Algorithmen. Doch die hohe Usability spricht für sich, und ein paar Schallplatten-Nerds werden das System nicht ändern. Daher bringt es wenig Musik-Streaming an sich zu verteufeln. Trotzdem sollte weiterhin die Frage nach der Verteilung von Geld und Aufmerksamkeit gestellt werden. Denn mit genügend Druck von außen und der Politik könnten Systeme entwickelt und durchgesetzt werden, die für eine faire und breitere Bezahlung für Musiker*innen sorgen.

Was ist dir deine Musik wert?

Quellen:

Sharing is caring <3

1 x im Monat ein Liebesbrief mit den neuesten Neuigkeiten