„Basquiat. Of Symbols and Signs“

Die Albertina Wien zeigt seit Herbst 2022 die erste museale Retrospektive Basquiats in Österreich. Bereits in den vergangenen Monaten konnten Basquiat-Interessierte bei der Albertina Ausstellung „The 80s. Die Kunst der 80er Jahre“ und in der Ausstellung „OPEN“ in der Heidi Horten Collection in die farbintensive Bildwelt des Künstlers eintauchen. 

Die Retrospektive in der Albertina, die rund 50 Werke aus dem Œvre des Künstlers zeigt (ein kleiner Ausschnitt seines umfassenden Schaffens – in nur wenigen Jahren schuf er fast 1000 Gemälde und über 2000 Zeichnungen) gibt Einblick in die außergewöhnliche Bildsprache des Künstlers. Auf dem Instagram Account der Albertina konnte man in den Tagen vor der Ausstellungseröffnung den Aufbau mitverfolgen und einen ersten Blick auf die ausgestellten Gemälde erhaschen, ein Vorgeschmack auf Basquiats klare und gleichzeitig kryptische Arbeiten.
Sämtliche Werke, die zu sehen sind, sind Leihgaben aus renommierten öffentlichen und privaten Sammlungen in den USA, Europa, Hong Kong und Singapur. Die Ausstellung wurde seit Jahren geplant und von Albertina Kuratorin Antonia Hoerschelmann und Kunsthistoriker und Basquiat-Experten Dieter Buchhart kuratiert und enthält auch Werke, die seit dem Tod des Künstlers noch nie oder nur selten öffentlich zu sehen waren. In der Ausstellung finden sich Werke wie „Irony of a Negro Policeman“ oder „La Hara“ (beide 1981) und auch einige Zeichnungen des Künstlers sind vertreten.

Jean-Michel Basquiat, geboren 1960 in New York als Sohn einer Porto Ricanerin und eines Haitianers, ist wohl einer der bedeutendsten Künstler der 1980er Jahre. Bereits als Kind nimmt ihn seine Mutter in Kunstmuseen mit und er entdeckt seine Begeisterung für Picassos „Guernica“ und studiert die Werke im Museum of Modern Art. Als er mit 7 Jahren in einem Autounfall schwer verletzt wird und im Krankenhaus liegt, schenkt seine Mutter ihm eine Ausgabe „Gray‘s Anatomy“ – ein Anatomiebuch, um ihm verständlich zu machen, was mit seinem Körper passiert. Dies soll später einen großen Einfluss auf seine Werke haben, in denen man oft anatomische Ausführungen, Zeichnungen oder Symbole erkennen kann.

Aufgewachsen in Brooklyn bricht er mit 17 die Schule ab und schlägt sich auf der Straße und bei Freunden mit dem Verkauf selbstbemalter Postkarten und T-Shirts durch.  Eines Tages begegnet er in einem Restaurant Andy Warhol und es gelingt ihm eine seiner Postkarten an ihn zu verkaufen. Gemeinsam mit seinem Freund Al Diaz entwickelt er das Pseudonym SAMO („same old shit“) und die beiden sprayen rätselhafte Sprüche auf die Hausmauern im Galerienviertel: „SAMOÓ as an alternative 2 playing art with the ‚radical chic‘ set on Daddy’s $funds“ (SAMOÓ als Alternative dazu, mit der radikalen Schickeria auf Papas Kosten Kunst zu spielen). Jean-Michel Basquiat ist Teil der New Yorker Kunstszene der 1980er Jahre und hält sich oft in Szene Hot Spots wie dem Mudd Club oder Club 57 auf. Außerdem spielt er experimentelle New Wave Musik mit seiner Band Gray (der Name war inspiriert vom Anatomiebuch „Gray‘s Anatomy“) und tritt regelmäßig auf. Er hat Auftritte in TV-Shows (TV-Party) und im Film New York Beat, der unter dem Titel Downtown 81 im Jahr 2000 veröffentlicht wurde.

Jean Michel Basquiat, Untitled 1982, Private Collection

Schließlich wird er 1980 bei seiner ersten Gruppenausstellung Time Square Show entdeckt und legt einen blitzartigen Aufstieg hin. Innerhalb kürzester Zeit macht er sich einen Namen in der Kunstszene. Renommierte Galerien stellen seine Werke aus und seine Bilder verkaufen sich für hohe Summen. Oft werden seine Arbeiten bereits verkauft, bevor sie überhaupt gemalt wurden. Mit 22 Jahren wird er als jüngster Künstler eingeladen bei der documenta teilzunehmen.

Um Basquiats Arbeit einordnen zu können, bedient man sich oft an einem Vergleich mit Künstlern wie Cy Twombly (Schrift), Pablo Picasso (afrikanische Masken), Jean Dubuffet, De Kooning und Andy Warhol. Basquiats Werk wird von Experten zwischen Neo-Expressionismus, Primitivismus, Conceptual Art und New Wave anberaumt. Seine großflächigen, farbintensiven Bilder sind inhaltsreich und emotional aufgeladen, mit tiefer gesellschaftskritischer Bedeutung. Basquiat greift in seinen Werken existentielle Themen wie Diskriminierung, Rassismus, Polizeigewalt, soziale Ungerechtigkeit und Konsumkapitalismus auf. Auch die Musik, allen voran Hip-Hop und Bepop dienten als Inspiration. 

Während er von Galerien und der Kunstwelt gefeiert wurde, war Basquiat im New York der 1980er Jahre starkem Alltagsrassismus ausgesetzt; Menschen wechselten die Straßenseite und Taxis hielten nicht für ihn an. Auf Fotos ist Basquiat oft die einzige Person of Colour, umringt von lauter weißen Künstlerkollegen, Galeristen und Sammlern. In der Kunstszene blieb er also als einzig afroamerikanischer Künstler eine Ausnahmeerscheinung. Im Zentrum seiner Werke finden sich oft schwarze Menschen als Protagonisten, oft werden Persönlichkeiten aus der Musikbranche (wie die Jazz Musiker Charlie Parker und Miles Davis) oder dem Sport dargestellt, vor allem Boxer wie Joe Louis oder Cassius Clay. Diese werden mit maskenartigen Gesichtszügen, an fast kindliche Zeichnungen erinnernd, wie Ikonen dargestellt.

Als Untergrund für seine flächigen Collagen nutzte Basquiat nicht nur Leinwände, sondern auch Türen, Kleidung, Wände und Möbel. Schroffe Linien und drahtige Pinselstriche voller Energie sind Teil seines unverkennbaren Stils. Basquiat nutzte meist Acrylfarben und Ölkreiden für seine Werke und griff manchmal auch auf Fotokopien zurück. 

Basquiats Kunst ist komplex, intelligent und enthält zahlreiche Zitate und Verweise. Während seine Werke einerseits klar wirken, bleiben sie ebenso kryptisch und sind schwer zu „durchdringen“, wie Kunsthistoriker Dieter Buchhart es ausdrückt. Jean-Michel gelang es Inhalte aus verschiedenen Quellen neu zu verbinden und Dingen, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen, Sinn zu geben.

Kurator Richard Marshall unterteilte anlässlich einer Basquiat Retrospektive im Whitney Museum sein Werk in drei Schaffensperioden. In der ersten Schaffensperiode von 1980 bis Ende 1982 konzentriert sich der Künstler auf maskenähnliche und skeletthafte Gesichter und Figuren, ebenso wie Motive, die vom Leben der Straßen New Yorks erzählen: Polizisten, Graffiti, Autos, Gebäude… 

Seine mittlere Schaffensphase wird mit Ende 1982 bis Ende 1985 anberaumt. In dieser Zeit schuf Basquiat größere Arbeiten, die teilweise aus mehreren Teilen bestehen und oft Themen behandeln, die miteinander in Verbindung stehen. In dieser Zeit wurden seine Werke immer detailreicher. Als Inspiration diente Basquiat sein Umfeld. Alles, was ihn umgab wurde in seine Bilder eingespeist. Basquiat bediente sich nicht nur geschichtlicher Bilder und Symboliken, sondern auch Schrift, die fast schon an Lautgedichte erinnert. Diese „facts“, wie er sie nannte, stammten aus Büchern im Atelier des Künstlers. Die Wörter und Sätze, die der Künstler auf seinen Bildern festhielt, sind oft auf Englisch, aber auch Französisch, Spanisch und Deutsch. Wörter wurden in Listen angeordnet, teils durchgestrichen – wodurch die Worte einerseits mehr in den Hintergrund gerieten, jedoch zugleich an Bedeutung gewannen: „Ich streiche Wörter durch, damit man sie besser sieht; wenn sie verdeckt sind, will man sie erst recht lesen.“[1] Dieselbe Strategie verfolgte er beim Übermalen seiner Bilder; die Gemälde aus Acryl und Ölkreide wurden wieder und wieder übermalt, sodass sich das Endergebnis oft aus vielen verschiedenen Schichten zusammensetzt und man unter dem Gemälde meist noch die Fragmente früherer Arbeiten entdecken kann: „Die Mehrzahl der Gemälde hat ein oder zwei Gemälde darunter. Ich befürchte, dass irgendwann Teile abfallen und einige der Köpfe darunter zum Vorschein kommen“[2].

Während seiner zweiten Schaffensphase, Ende 1983, begann seine Zusammenarbeit mit Andy Warhol, die ihn sehr prägte. Warhol wurde für Basquiat Freund und Mentor und schuf eine Vielzahl an Werken mit ihm.

Seine letzte Schaffensphase 1986-1988 war geprägt von intensiveren Farben, Zeichen, die sich nun zu Mustern entwickelten und Farbflächen, die die Informationsfülle darunter verdeckten. Mit seinen Werken brach Jean-Michel Basquiat alle damaligen Konventionen der Kunst und wurde ebenso gehypt wie scharf kritisiert.

Jean-Michel Basquiat starb 1988 mit nur 27 Jahren an einer Überdosis Heroin, kurz nach dem Tod Andy Warhols. 2017 wurde eines seiner Werke für 110,5 Millionen Dollar versteigert. Durch die hohen Preise seiner Arbeiten sind heutzutage vor allem private Sammler in deren Besitz.

Jean-Michel Basquiats Schaffen hat großen Einfluss auf die heutige Kunstwelt. Einflüsse seiner Arbeit findet man in den Werken aufstrebender zeitgenössische Künstler wie beispielsweise Eser Gündüz und in den frühen Arbeiten von Reginald Silvester ii. In einem Interview mit Highsnobiety sagte letzterer: „Ich denke, die Aufgabe eines Künstlers ist es nicht nur, Dinge über sich selbst zu entdecken, sondern gleichzeitig soll er auch die Kunstgeschichte ansprechen und in einen neuen Raum bringen.“[3]

Gerade in einer Zeit, die von der „Black-Lives-Matter“ Bewegung geprägt ist, trifft die Ausstellung in der Albertina den Zeitgeist und bringt dem Betrachter vor Augen, dass auch 40 Jahre später das Thema ein aktuelles ist. „In Zeiten einer Woke-Bewegung, einer Black-Lives-Matter-Bewegung, ist diese Ausstellung eine, die geradezu angesetzt werden muss“, so Albertina-Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder anlässlich der Eröffnung der Ausstellung. Basquiat wird in den Medien oft als „Galionsfigur der Black Art“ bezeichnet da er der erste afroamerikanische Künstler war, der in der überwiegend weißen Kunstszene seinen Durchbruch schaffte. Basquiats Erfolg ruft in Erinnerung, wie tief latenter und struktureller Rassismus auch in der amerikanischen Kunstbranche verankert war und wie lange es gedauert hat sich für People of Colour zu öffnen. 

Wer nun selbst Lust bekommen hat in den Genuss des Betrachtens Jean-Michel Basquiats farbgewaltiger Bildwelten zu kommen und sich ein Bild von seinen Bedeutungskonstellationen machen möchte, sollte sich die Ausstellung in der Albertina Wien nicht entgehen lassen – die Ausstellung ist noch bis 8. Jänner 2023 zu sehen.


[1] Basquiat in Robert Farris Thompson, „Royalty, Heroism, and the Streets: The Art of Jean-Michel Basquiat“, in Marshall, Jean-Michel Basquiat, New York: Whitney Museum of American Art, 1992, S. 32

[2] Basquiat in: Henry Geldzahler, „Jean-Michel Basquiat: From the Subways to SoHo“, Interview mit Henry Geldzahler, Interview 13, Januar 1983, S. 44-46/online

[3] Highsnobiety Issue 16 / Figuring Art Out: Reginald Sylvester ii, 30. Mai 2018 (https://www.highsnobiety.com/p/reginald-sylvester-interview/, abgerufen: November 2022)

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