Alone

Ich sitz am Placa del Sol, einem großflächig gepflasterten Platz, der, wie man sich jetzt vielleicht denken kann, direkt so situiert ist, dass man sich den Großteil des Tages einen Sonnenbrand im Gesicht holen kann (been there, done that). Ich sitz auf einem kleinen wackeligen Stuhl, bei einem ebenso kleinen, wackeligen Tisch. Darauf steht ein Glas Weißwein, welches durch meinen orangenen Lippenstift-Abdruck unverkennbar mir gehört. Ich bin mein eigener Main-Character. Endlich. Vor mir sehe ich Kinder, die Hunden nachlaufen, die wiederum einem Ball nachlaufen. Junge Freund*innengruppen sitzen an den Tischen nebenan, die sich leidenschaftlich und laut über irgendwas unterhalten, das ich nicht verstehe. All das Gelächter, Schreie, klirrende Weingläser, Hunde und ein Straßenmusiker, der spanisch in ein Mikrofon singt, welches dauernd übersteuert, umgibt mich, lässt mich am Trubel teilhaben und schottet mich auch gleichzeitig ab. Eine Spanierin reißt mich aus meinen Gedanken, sie fragt mich, ob sie den Stuhl haben kann. Ich nicke, lächle und widme mich wieder meinem Wein. Ich brauch ihn ja nicht, bin ja alleine da.

Vor mir liegt das Buch „The Lonely City“ von Olivia Laing und „Radikale Selbstfürsorge“ von Svenja Gräfen. Beides habe ich mir vor meiner Abreise, thematisch zum Trip angepasst, noch schnell gekauft und in mein ohnehin schon zu überladenes Handgepäck gestopft. Aus einem wahnwitzigen Impuls heraus, buchte ich mir vor einer Woche, spätabends, während ich mir die zweite Staffel „Desperate Housewives“ ansah (please don’t cancel me for this – ich weiß wirklich nicht, was mich da wieder geritten hat) einen Flug nach Barcelona.

Naja, jetzt sitz ich da. Alleine. Das klingt schon wieder mitleidig, sollte es aber nicht. Allein sein, wird uns zumindest immer eingeredet, ist nur ein Zustand, den es zu überdauern gilt. Es wird mit Einsamkeit gleichgesetzt. Das sehe ich anders. Ist es nicht eher ein gewähltes Gefühl, in das ich bewusst eintauchen möchte? Mir selbst einfach mal zuhören.

In dem Buch „Radikale Selbstfürsorge“, eine Essaysammlung, in welcher man sich permanent umarmt fühlt, schreibt Svenja Gräven:

„Aber es liegt eben durchaus eine nicht zu verachtende Menge Macht darin, dich losgelöst von der kapitalistischen Wellness-Industrie mit dir selbst auseinanderzusetzen…Das bedeutet nämlich in erster Linie, dass du dir selbst Raum zugestehst, der dir von der Gesellschaft nicht unbedingt auf dem Silbertablett serviert wird. Schon ihn dir einfach zu nehmen kann eine Form von Protest sein.“

Vielleicht ist es auch einfach das. 

Eigentlich weiß ich nicht so wirklich was mich am alleine sein so fasziniert. Manchmal ist es gefährlich. Manchmal erdrückt es mich. Manchmal leide ich auch darunter.

In unserer Gesellschaft dreht sich so vieles darum, eben nicht alleine zu sein. Perfekte Partner*innen, perfekte Freund*innen, immer unterwegs und ja nichts verpassen. Oft habe ich das Gefühl, die Popkultur kreist nur darum, ja nicht alleine zu sein und schon gar nicht gefallen darin zu finden. Viele Erwartungen und Vorstellungen, die man erfüllen muss, um zu entsprechen, um dazuzugehören. In mir staut sich schon seit Jahren das Gefühl an, dass ich es einfach nicht schaffe, mich dem zu unterwerfen. Auf Instagram habe ich neulich den Satz „My alone feels so good I’ll only have you if you’re sweeter than my solitude” von der Autorin Warsan Shire gelesen und musste dabei ein bisschen schmunzeln. Am Strand in Barcelona habe ich immer wieder gemerkt, welche Ansprüche ich unterbewusst an mich stellte: Sollte ich das jetzt nicht teilen? Ist ein drittes Glas Wein, alleine im Cafe, nicht eines zu viel? Kann ich das alleine genießen?

In „The Lonely City“ schreibt Olivia Laing, wie sich Künstler*innen dem „Alleinsein“ in deren Kunst widmen. Manche Personen, die beschrieben werden, gehen daran zu Grunde, viele werden falsch verstanden, oder es wird gar nicht versucht zu verstehen, welche enorme Bedeutung „Alleinesein“ für die Kunst hat. Greta Garbo beispielsweise, die sich mit 36 selbst in Pension schickte (LOL) und jeden Tag zweimal durch New York spazierte. Es ist zwar bekannt, dass sie ihr „Alleinesein“ zu einer Einsamkeit führte, trotzdem liebe ich die Bilder von ihr in den Straßen von New York. Was ich hierbei auch interessant finde und in den Raum stellen möchte: Greta Garbo wird in vielen Medienberichten immer als die „einsame Göttin“ dargestellt, die nie verheiratet war. Dabei schrieb sie selbst in einem Brief: „Ich sehe mich nicht als Ehefrau – ein hässliches Wort.“ Das fand ich sehr interessant. Es wurden unzählige Rechtfertigungen gesucht, warum sie nie verheiratet war. Rechtfertigungen die belegen sollen, dass das „Alleinesein“ kein Zustand der Selbstbestimmung sein kann.

Einsamkeit ist wohl der Endgegner, wovor alle Angst haben, wahrscheinlich ich auch. Vielleicht sehen wir im „Alleinesein“ eigentlich immer nur die Einsamkeit bedrohlich durchschimmern, die uns erdrücken wird. Ich stell keine Anforderung mehr an mich, perfekt zu sein, vielleicht will ich einfach nicht mehr sein, als ich schon bin. Vielleicht will ich auch mal einfach allein sein. Alleine sein in Barcelona. Durch die Straßen schweben wie Greta Garbo in NewYork.

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